dogfood Dezember 2003 [2]

Sonntag, 14. Dezember 2003

[20h23] Medien -- Joachim Huber regt sich in der Montagsausgabe des Tagesspiegels über ARD und ZDF auf, weil diese am heutigen Sonntag schläfrig auf die Festnahme von Saddam Hussein reagiert haben. Bemerkenswert der letzte Absatz:
Je später der Abend, desto präsenter auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Ein Eindruck ließ sich nicht mehr verwischen: ARD und ZDF besitzen die von ihnen betonte Informationskompetenz nach wie vor, die dazugehörige Kompetenz für Schnelligkeit und Aktualität besitzen sie nicht. Die hat die RTL.
Der Artikel war ab zwanzig Uhr online. Ich gratuliere Herrn Huber für die irgendwann um 18 Uhr oder 19 Uhr gefällte Beobachtung „Je später der Abend, desto präsenter das öffentlich-rechtliche Fernsehen“. Die Erkenntnis, dass „Aktualität“ nicht alles ist, ist eine korrekte, aber auch auf Tagesspiegel-Artikel anzuwenden. Vorallen wenn die Aktualität eine vorgetäuschte ist.
[19h11] Liebe Verwandte, nett dass Ihr einen Brief geschrieben habt. Aber ein dreiseitiger, mit der Hand engbeschriebener Brief, in französisch, mit einer Zeilenlänge von schätzungsweise 120 bis 150 Zeichen in Schreibschrift, ist so ein bißchen die Hölle für mich. Ich versuche es.
Das Lesen gleicht einer Echternacher Springprozession: Lesen, Wörter nicht verstehen (weil unleserlich), ignorieren, versuchen aus dem ganzen Satz die Bedeutung zu erraten, wieder drei Wörter zurückspringen, aus dem Schriftbild das zur Bedeutung passende Wort erraten und dadurch den Sinn des Satzes bestätigen. Wenn erfolgreich, gehe weiter zum nächsten Satz. Wenn nicht, gehe nochmal drei Wörter zurück...
[12h08] Bezüglich der heute nacht erfolgten Festnahme von Saddam Hussein, hört man das gerücht, dass er mit falschem Bart aufgefunden wurde. Was für eine geile Tarnung. Ein Mann dessen dessen Gesicht eh schon zur Hälfte aus Gesichtsbehaarung besteht, klebt sich 'nen falschen Bart an...

Samstag, 13. Dezember 2003

[14h33] Media -- Liebe BBC...
... ich verehre euch, ich küsse euch den Popo, ich sauge tagtäglichen literweise euren Content, Ihr seid mein persönlicher Götze.
Aber so ein bißchen fangt ihr an mich zu stressen. Seit Monaten beobachte ich bei euch, sei es eurer News-Site, sei es dem Internet-Nonstop-News-Audio-Stream oder eurem Nachrichtensender BBC World die Tendenz zu „yellow“ Themen. Egal ob die Hochzeit von Pavarotti, die Adelung von Mick Jagger oder der Weltpremiere von „Herr der Ringe“. Von mir aus könnt Ihr solche Themen am Ende der Sendestunde in drei Minuten abhandeln, aber please, nicht an prominenter Stelle. Irgendwann unter der Woche den Kanibalen-Prozeß in Deutschland als Aufmacher in BBC World zu bringen ist nicht nur europazentrisch, sondern auch schlichtweg reißerisch, etwas was euch bislang angenehmerweise von den zwanghaft mit Adrenalin um sich spritzenden Kollegen von CNN unterschied (die daraus im übrigen gleich eine halbstündige Sondersendung gebastelt haben). Ich will keine Boulevardisierung. Ich will News. Hardcore. Von mir aus auch über die innenpolitische Krise in Mozambique.
Man mache sich keine Illusion: dort wo Yellow-press-Themen Einzug halten, sind es die eh schon spärlich gesäten Dritte-Welt-Themen die aus dem Programm kippen.

Screenshot aus TV Home Forum.co.uk
Einher mit der „lauter“ gewordenen Wahl des Sujets, habt Ihr seit Anfang Dezember ein neues On-Air-Design für BBC World (hier die alten Idents, hier das neue Design, weitere Screenshots und Videos). Auf dem Schirm prangt nun links unten ein fetter roter Kasten als Senderkennung, inkl. URL. Headlines blenden nicht mehr einfach ein und aus, sondern fliegen animiert rein. Die Schrift, einst die Futura oder Gill, ist irgendein öder Helvetica-Klon. Wo die Headline einst Ergänzung zum Gesagten war, schmeißt sie sich nun, je nach Länge der Headline ans Auge des Betrachters, schreit „Hier, hier“. Wenn die Headline kurz genug ist, ist die Schrift eine Viertel Bildschirmhöhe groß. (Noch mehr Screenshots vom fast identischen BBC News24-Redesign)
Neuerdings werden die kurzen Pausen zwischen den Sendungen mit einem neuen Screenlayout überbrückt, bei dem sogar Stammseher von Bloomberg-TV sich mit epileptischen Anfällen auf dem Boden wälzen.
Aus dem Gedächnis heraus: in der Bildschirmmitte ist eine Trailer zu sehen, der auf irgendeine Sendung hinweist. Oben rechts der Sendetermin, aufgeschlüsselt in unterschiedliche Zeitzonen, ganz unten aktuelle Zeit, Sekunden-Countdown bis zum Beginn der nächsten Sendung, Länge der nächsten Sendung, Titel der nächsten Sendung und aktuelle Zeit. Ein Wort: Overkill.

Freitag, 12. Dezember 2003

[22h55] Tech -- Erstens: Suns 3D-Desktop-Betriebssystemstudio „Project Looking Glas“. Zwotens: die Videos. Drittens: der Verriß von Buzz Anderson.
Es stimmt schon was Buzz sagt: es ist ein Irrglaube, insbesondere von TechFreaks, je realistischer die Optik, desto einfacher sei ein System zu bedienen. Au contraire. Ich habe hinreichend Probleme die zweiundzwanzigtausend kreisrunden, blauen Programm-Icons unter MacOS X zu unterscheiden: Internet Explorer, NetNewsWire, Safari, RealPlayer, DevonThink...
[20h34] Die Feininger-Ausstellung war nett anzusehen, aber es fehlte irgendwie der Pepp. Es wirkte etwas... willkürlich. Nein, es wirkte lieblos. Man nehme ein paar Räume, hänge in chronologischer Reihenfolge die Bilder auf, fertich ist. Okay, ein Diaprojektor war auch da. SiebenEuroFuffzich.
Nein, ich erwarte kein Spektakel, keine Nackttanz-Aufführung von Wee Willie Winkie. Aber wie wäre es... wie wäre es mit einem Lektor der sich all die kleinen Kärtchen unter den Bildern vornimmt und auf sachliche Fehler und Rechtschreibprobleme untersucht? Wie wäre es wenn man sich an begleitenden Texten etwas mehr aus den Rippen leiert als die 08/15-Bio auf DIN A0 hochkopiert? Wie wäre es mit den Englisch-Unkundigen mit einer deutschen Übersetzung insbesondere der grandiosen Willie Winkie-Texte? Wie wäre es wenn man ENDLICH ENTSPIEGELTE Glasscheiben für die Bilderrahmen nehmen würde? Wie wäre es wenn man auch den Räumlichkeiten anmerken würde, dass es hier gerade Feininger und nicht Klee oder Beckmann gibt? Für sowas wäre ich bereit alleine 7,50 EUR zu zahlen. Geht nach Frankreich, schaut's euch Comicausstellungen an. Ich war vor zehn Jahren oder so, in Paris in einer Enki-Bilal- und „À Suivre“-Ausstellung. Oder vor Jahren die Tim und Struppi-Wanderausstellung. Aber da war nicht der Hauch von blanker Wand zu sehen.
Irgendwie ist es kein Wunder dass die Museumsbesucher langsam den Tod der Vergreisung sterben. Die Kunsthalle hat diverse Vergünstigungen für Studenten, Schüler usw. und... einen Sonderpreis für Rentner: „der Goldene Freitag“. Im Preis inbegriffen: Kaffee und Kuchen.
Neben der Feininger-Ausstellung gab es auch eine Ausstellung mit Zeichnungen von Paul Klee, die Klee, als „entarteter“ Künstler geltend, 1933 angefertigt hat (Flash-Version).
Zwei Aspekte fand ich interessant. Wie hoch muss die geistige Fallhöhe sein, damit Kritzeleien und Skizzen hochgejazzt werden: „Klees Blätter sind keine Illustrationen, sondern in Parodie verhüllte Anprangerungen des Nationalsozialismus im Jahr seiner Machtübernahme. Diesem fesselnden Bilderzyklus von hintergründiger ironie, spöttischer Satire, aber auch resignierender Distanz ist bisher überraschend wenig Bachtung zuteil geworden.“. Ham'wa es nicht noch eine Nummer größer?
Ich habe nichts dagegen, dass der Arbeitsprozeß oder die Biographie eines Künstlers an seinen Skizzen, Butterbrotpapieren oder sonstigem authentischen Material dargestellt wird. Ist eine spannende Geschichte. Aber ich habe ein Problem mit dieser hirngewichsten Rhetorik die jeden Popel des Meisters überhöht und gar nicht merkt wie sie dabei die eigentlichen Hauptwerke banalisieren.
Der zweite interessante, ja bedrückendste Aspekt, war eine aufgehängte Zeittafel der Ereignisse rund um Klee 1933. Mir ist zum ersten Mal die Geschwindigkeit Hitlers Machtergreifung bewusst geworden.
Am 30. Januar 1933 wird Hitler zum Reichskanzler ernannt, nur einen Monat später ist der sog. „Reichstagsbrand“, der als Gelegenheit genutzt wird, um Oppositionelle wegzusperren. Anfang April, also knapp zwei Monate nach Hitlers Machtergreifung finden bereits Ausstellungen statt, die „Entartete Kunst“ anprangern. Zwei Monate von Machtergreifung bis zur „Entarteten Kunst“. Bei all der Detailvesessenheit von Schulunterricht und Medien über das Dritte Reich, das „große“ Bild geht dabei flöten.
[12h55] Politics -- Zwei Artikel bzw. Kommentare in der NYTimes zum 9-11/Irak-Komplex, die ein, gelinde gesagt, übles Licht auf die US-Regierung werfen.
German Judge Frees Qaeda Suspect; Cites U.S. Secrecy“ berichtet über den Freispruch von Mzoudi als Mittäter bei 9-11 in Hamburg. Essenz: die Weigerung der US-Behörden eine Befragung des als „Kriegsgefangenen“ inhaftierten Bin Al-Shibh zuzulassen, führt zu „im Zweifel für den Angeklagten“. Die Vorwürfe gegen Mzoudi können ohne eine Aussage von Bin Al-Shibh nicht überprüft werden.
Als Nebeneffekt wackelt nun auch das bereits erfolgte Hamburger Urteil gegen Motassadeq. Und auch der Prozess gegen den in den USA inhaftierten Moussaoui könnte mangels Kooperation kippen.
In „A Deliberate Debacle“ äußert Kolumnis Paul Krugman den Verdacht, dass sich hinter den Kulissen des Weißen Hauses ein massiver Machtkampf zwischen „Falken“ und „Tauben“ abspielt.
In short, this week's diplomatic debacle probably reflects an internal power struggle, with hawks using the contracts issue as a way to prevent Republican grown-ups from regaining control of U.S. foreign policy. And initial indications are that the ploy is working -- that the hawks have, once again, managed to tap into Mr. Bush's fondness for moralistic, good-versus-evil formulations. 'It's very simple,' Mr. Bush said yesterday. 'Our people risk their lives ... Friendly coalition folks risk their lives ... The contracting is going to reflect that.'
In the end the Bush doctrine -- based on delusions of grandeur about America's ability to dominate the world through force -- will collapse. What we've just learned is how hard and dirty the doctrine's proponents will fight against the inevitable.
Das Problem der Falken ist die Überschätzung der US-amerikanischen Wirtschaftspotenz. Anstatt es alleine zu wuppen und dadurch den Einfluß auf der Welt zu mehren und ein „brauchbares“ Beispiel für Präventiv-Krieg und Alleingänge zu liefern, kam Wirtschaftskrise und macht den Irak nun zu einer finanziellen Bürde erster Güte.
[11h37] Meine Steuerberaterin informiert:
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist für den Vorsteuerabzug die Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs maßgebend. § 15a UStG wird dahingehend korrigiert, dass diese Vorsteuerberichtigungsvorschrift auch für Zeiträume vor dem 1.1.2002 anzuwenden ist, wenn der Unternehmer den Vorsteuerabzug im Zeitpunkt des Leistungsbezugs auf Grund der von ihm erklärten Verwendungsabsicht in Anspruch genommen hat und die Nutzung ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung mit den für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen nicht übereinstimmt.
Fies, nä?
[11h22] Complete breakdown of Arbeitstag, weil Gesprächspartner 1 nicht erreichbar ist, Gesprächspartner 2 in einem Meeting ist und zurückrufen will und Webserver 3 momentan down ist und daher nicht für Recherche benützt werden kann. Sämtliche Überlegungen wie ich meinen heutigen Arbeitstag gestalte, sind damit für'n Arsch.
[09h49] Im Bus hatte ich heute das Gefühl im Lazarettwagen mitzufahren. Ein Gehuste und Geschniffe aus allen Ecken. Wo man nur hinblickte, schoben sich die Leute Inhalierstifte durch die Nasenlöcher, wurde in blaßgelbe Papiertaschentücher geschneuzt und die heilige Zweieinigkeit des Rachenkatarrh, Sputum und Schleim, sangen bei jedem Husten ihre rauhe, kratzende Melodie. Deutschland einig Siechtumland. Wobei kurioserweise die Lädierten allesamt, dem Äußeren nach zu urteilen, Deutche gewesen sind, während unsere Mitbewohner südlicherer Herkunft, Türken, Afrikaner, im Bus sich durch die Bank weg, alle als ziemlich gripperesistent erwiesen.
Bereits gestern spekulierte „die andere“ Connie über den Zusammenhang mit der schlechteren wirtschaftlichen Lage und dem Jahresende. Die Leute seien durch das Jahr alle so ausgelaugt, dass sie nun beim ersten Nachlassen des Stresses alle erschöpft zusammenklappen.
[09h43] Martin schrieb mir bezugnehmend auf die Sache mit den Briefmarken:
Don't ever leck Briefmarke, just buy selbstklebend: http://www.efiliale.de/ (Ein Service der guten alten Post)
Briefmarken ohne leck, ist wie Cola ohne süß und ohne Koffein, wie Joghurt ohne Fett, Chines' ohne Natriumglutamat, wie McDonalds mit gesund und Geschmack.
Mit anderen Worten: geht gar nicht.
[09h35] Nichts ahnend gehe ich hochschaftigen, neuen Sportschuhe nach draussen, gehe normal die Straße runter, zur Bus-Haltestelle. Hmm. Der Verkehr fährt aber langsam heute. Und die Fußgänger machen merkwürdig weitschweifende Armbewegungen. Sollte es etwa glatt sein? Ich mache den Test und rutsche mit den Schuhen umher. Nichts. Das Trottoir macht aber schonen einen leicht verglasten Eindruck. Auf dem Weg ins Büro dann auch noch den einen oder anderen glättebedingten Unfall gesehen, Fußgänger gehört, die jammerten „Oh, wie glatt“.
Cool. Recht unbewusst habe ich mir anscheinend die absolut winterfesten Treter geholt. OKAY, ICH BIN JETZT GERÜSTET!, SCHNEE, DU KANNST KOOOOOOMMMMMMMMEEEEENNNNN!!!!

Donnerstag, 11. Dezember 2003

[22h30] Man werkelt mehr oder weniger „freestyle“ am Design einer Website rum, live, direkt auf dem Server, hey, es ist für lau, Konzepte und Site sind da nicht angesagt. Man beeilt sich, weil man um halb sieben „wo hin muß“. Kommt vier Stunden später aus der Bar zurück, schmeißt den Browser an, und würde sich für den Mist am liebsten selber ohrfeigen. Sorry. Geht aber erst morgen weiter.
[12h56] Software -- Es gibt Gerüchte die Zukunft des „MediaCleaners“ von Discreet betreffend. Kurzinfo was bislang geschah (mehr zum Thema in dogfood Jan02 und Nov02): erfolgreiche Videokompressions-Software mit sympatischer Truppe (Terran), wird von Branchengröße Media100 aufgekauft. Media100 entließ alle Terran-Angestellte, brachte eine spektakulär schlechte „MediaCleaner 5“-Version raus. Media100 ging es irgendwann nicht mehr gut, „MediaCleaner“ wurde an Discreet/Autodesk weiterverkauft.
Es kursieren nun zahlreiche Gerüchte (AppleInsider), wonach Discreet seine „Desktop Video“-Abteilung auflösen wird und die Weiterentwicklung vom „MediaCleaner“ auf Eis gelegt wurde. In diesem Zusammenhang sind nun weitere Gerüchte (AppleInsider) im Umlauf, wonach Apple etliches von Discreet aufkaufen will, namentlich „MediaCleaner“ und „Combustion“. Angeblich soll im Verhandlungspaket auch „3D Studio Max“ sein, von dem nicht bekannt wäre, dass da an einer Mac-Version gebastelt worden wäre.
[12h19] Ich bin durch den Wind. Ich bin alle. Ich habe zwei Communities zu füttern bzw. technisch am Laufen zu halten. Ich muß aus beruflichen Gründen derzeit viel Konzeptionelles schreiben. Ich habe diverse Jobs gleichzeitig am Laufen.
Highlight war der Dienstag, als die zweite Community intern den Startschuß bekommen hat, und hier im Büro vier Jobs gleichzeitig zu handlen war.
Nahe am „nervous breakdown“ war ich, als eine Kundin anrief. Nach einem bislang produziertem Miniprojekt, bei dem der Beratungsaspekt völlig außer Kontrolle geriet und schon für sich genommen ein Vielfaches des gesamten Budgets ausmachte, kam bei der Kundin die Idee für ein zweites Projekt. Nach den bisherigen Erfahrungen wurde ich etwas nervös, ob der Dinge die mich erwarteten. Die Ankündigung auf der Mailbox des Handys verhieß auch nichts wirklich freudvolles. „Kleines Budget“, „darf nicht viel kosten“. Und dass nach Maßstäben der Kundin... do your math.
Am Dienstag dann das Telefonat. Das angepeilte Budget war noch sinistrer als ich erwartet hatte. Mein Schweigen wurde gehört. Auf Nachfrage was ich mir denn vorgestellt hätte, antwortete ich: „das Doppelte“. „Hmm, okay, ich werde es versuchen
???
Ich sage „das Doppelte“ und die Kundin akzeptiert es? Versucht es zumindest ihrem Kunden gegenüber zu vertreten. Da war ich dann doch baff und fragte mich insgeheim wie eigentlich anderenortes Kostenkalkulationen gemacht werden...
Okay, dies war bisher nur begrenzt enervierend. Aber während des Telefonates hat bei der Kundin im Hintergrund immer das Baby geplärrt. Die Kundin hat sich dann irgendwann die Tochter gegriffen und auf den Arm genommen. Mit der Folge, dass die zehnsekündigen Plärrattacken der Kleinen direkt und ungefiltert in die Telefonmuschel gingen, wo sie am anderen Ende in Hamburg-Bahrenfeld mein Trommelfell atomisierten. Ich habe rechts kein „Hämmerchen“, „Steigbügel“ oder „Amboß“ mehr. Nur noch unförmige Klumpen Knorpel.
Ich musste, ungelogen, den Hörer zehn Zentimeter vom Ohr halten, damit es erträglich (also nicht mehr mit Schmerzen verbunden) war. So habe ich die Kundin natürlich nicht verstanden, weswegen ich den Hörer wieder dichter dranhalten musste. Sekunden später plärrte es dann wieder. Das Spielchen ging acht bis zehnmal und nach fünf Minuten war ich fertig mit den Nerven, der Tag war endgültig nur Scheiße und ich weiß nicht mehr wie ich mich bis zur Schlafenszeit durch den Tag schleppte, ohne, suizidgefährdet wie ich war, den nächstbesten Bleistiftanspitzer auseinanderzunehmen und mir die Pulsader aufzuschlitzen.
[11h58] Goldene Lebensregel: Don't leck Briefmarke if you just drunk chocolate-cappuccino.
[09h45] Morgen nachmittag nehme ich einen dringenst benötigten „day off“. Okay, eigentlich nur einen halben Tag. Eigentlich sogar nur 2-3 Stunden. Okay, es ist eigentlich gar nichts besonderes.
Bevor mir der Schädel vor dem Rechner endgültig platzt und bevor ich es versäume, geht es morgen zur Lyonel Feininger-Ausstellung in der Kunsthalle.
Wenn ich Bilder von drei Malern auf einer einsamen Insel mitnehmen würde, wären es Caspar David Friedrich, William Turner und Lyonel Feininger. Zwei Wörter: Licht und Farbe.
Ich hatte vor fünf Jahren die Gelegenheit mit Don (nein, nicht dem Don) in Berlin eine Lyonel Feininger-Ausstellung zu sehen. Reproduktionen kommen nicht an die Originale heran. Ich bin drei Stunden mit offenen Mund von Bild zu Bild gezogen.
Ein weiterer Aspekt der mich an Feininger interessiert: er ist Comic-Zeichner gewesen. Seine „Kin-der-kids“ zählten in der Frühzeit des Comics, als diese vorallen noch als Sonntagsbeilagen in Zeitungen veröffentlich wurden, zu den ganz großen Erfolgen, neben „Yellow Kid“, McKays grandioses „Little Nemo“ und Dircks „Katzenjammer Kids

Mittwoch, 10. Dezember 2003

[23h38] Medien -- Und was wenn Harald Schmidts Rücktritt ein Fake wäre?
[19h55] Zur Selbstbelohnung mal wieder fünf Euro im „Bärentreff“, dem lokalen Experten für Fruchtgummis gelassen. Wie immer kann man diverse abgefahrene Sorten probieren. „Glühwein-Zimt“ war ein durchaus legitimer Versuch, wenn auch von Glühwein nicht wirklich etwas zu merken war, wenn ich mal als kompletter Glühwein-Ignrant anmerken darf.
Was dann aber überhaupt nicht mehr ging, das war „Lebkuchen“. Lebkuchen-Gummis. Lebkuchen gehört definitiv zu den Lebensmitteln von denen man via Geschmack eine gewisse Konsistenz erwartet. Lebenkuchen-Gummis spotten dieser Erwartung. Man empfindet sie als das, was sie vielleicht wirklich sind: Kunstprodukt. Chemie. Kurz: Bäh. Fieser Nachgeschmack. Wie Lebkuchen halt (oder fiesen Instant-Cappuccino). Aber falsche Konsistenz.

Montag, 08. Dezember 2003

[22h02] Heute abend sah ich ihn wieder.
Es war vor ungefähr einer Woche. Einer jener Morgen an denen der Weg zur Arbeit routiniert zurückgelegt wird. Der Bus kommt an, man geht durch die Fußgängerzone, am Spritzenplatz rechts runter, auf die linke Seite der Bahrenfelder Straße. Irgendwas gegen halb neun, irgendwas zwischen hell und dunkel, irgendwas zwischen kalt und nicht ganz so kalt. Die Läden bereiten sich auf den Tag vor. Waren werden in den „Schlecker“ reingebracht, in der frisch in Weiß und Holz renovierten Apotheke wird hinter den halboffenen Rolläden mit dem Staubsauger gefuhrwerkt.
Die einen gehen rauf, die anderen kommen einem entgegen. Die Dreissigjährige die mit jedem Schritt ihre hochhackigen Stiefel in den Bürgersteig rammt und ein sehr verschloßenes Gesicht zeigt. Die Visage ist so angespannt, dass mit jedem Schritt die Gesichtsmuskeln zwei, drei Mal nachwackeln. Fast sieht so aus, als würde Madame das Gesicht noch stärker anspannen wollen um nicht den Hauch von Bewegung zu erlauben und damit möglicherweise etwas über sich zu sagen. Irgendwo an der Wange wird wahrscheinlich gleich die Haut aufreißen.
Kurz vor dem Alma-Wartenberg-Platz gibt es eine kleine türkische Ecke, mit der Spielhölle rechterseits, einem Kiosk und Hochzeitskleider linkerdings. Die Leute vor mir drehen den Kopf kurz nach rechts. Auf der anderen Seite, direkt am Pfahl mit dem Zebrastreifenschild, sitzt, bei knapp über Null Grad, ein alter Mann im Schneidersitz, mit einem Kasten vor sich, den ich irgendwie als Radio wahrnehme. Der Mann scheint Türke zu sein, etwas dunklere Haut, graue Bartstoppeln, so ein typisch-türkischer Schnäuzer. Seine stark eingefallenen Wangen und die Art wie er seine Oberlippe einklemmt, zeigen dass er keine Zähne mehr hat. Ein dunkelgrauer, abgewetzter Hut. Er sagt kein Wort, sitzt fast regungslos da. Die Leute nehmen nicht sehr viel mehr wahr, als eine kleine Kopfbewegung abseits des Weges hergibt.
Als ich am Nachmittag aus der anderen Richtung am Zebrastreifen vorbei komme, ist er wieder da. Diesmal steht er wankend an der Ecke der kleinen Boutique mit dem Ausverkauf. Im Zehn-Sekunden-Abstand gröhlt er irgend etwas unverständliches. Hält dabei irgendwas hoch. Ich weiß nicht ob es eine Flasche, das Radio oder irgendetwas anderes ist. Man hält ihn für einen besoffenen Vollidioten und versucht ihn auffällig unauffällig zu ignorieren.
Heute abend war er am Spritzenplatz, dort wo der kleine Weihnachtsmarkt beginnt. Er saß auf einer Decke, wieder im Schneidersitz, und spielte Musik. Laut und heftig. Vor mir gehen drei junge, dunkelhaarige Mädchen mit roten Mäntel und betrachten ihn kichernd.
Es ist scheißkalt, dankenswerterweise habe ich meine Wollmütze auf. Quer durch den Weihnachtsmarkt plärrt eine Musik durch die andere durch. Vor der weihnachtlichen Asia-Imbiß-Bude steht eine eingemummelte Frau mit aufgerissenen Augen und innerem Kampf. Als ich an ihr vorbeigehe, gibt sie sich einen Ruck und schreitet zur Bude, sich mit einer Schale Natriumglutamat-Nudeln die Weihnachtsdiät versauen wollend. Das Gezeter zu Weihnachten ist absehbar. Natürlich wieder viel zu viel gefressen. Nicht in die Klamotten passend, nicht in die hochhackigen Stiefel passend. der Freund wird wahrscheinlich ein Stück Bauchrolle zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen und mit ironischen Bemerkung die Saat für Bulemie und „Brigitte“-Diät säen, während in der „TV-Spielfilm“ auf dem Wohnzimmertisch vielleicht das Gesicht Kylie Minogue prangt, dank Photoshop-Retuschen ohne Pferdegebiß, ohne die zwei Pickel links und rechts vom Kinn und ohne die kleinen Falten die das Gesicht durchziehen und der Fernsehkamera verraten, dass auch an Frau Minogue die fünfzehn Jahre seit meines Zivildienstes und der Hoch-Zeit von Stock-Aitken-Waterman, nicht spurlos vorübergegangen ist.
Abgehalfterte Mutter zerrt das Kind quer durch den Weihnachtsmarkt, während 3-4 Schritte dahinter der junge Vater genauso zeternd wie angetrunken im Zickzack versucht mitzuhalten.
Aus der großen Weihnachts-Würstchenbude klingt 08/15-R'n'B-Musik, während hinter der Bude Peruaner aufspielen. Die Peruaner haben aufgerüstet und alles ist noch schlimmer geworden. Wo einst Horden von Inkas mit Flöten und Trommeln einem folkloristisch auf die Nüsse gingen, reichen nun drei Stück aus, damit es einem sämtliche Gedärme zusammenzieht. Die vor einem Jahrzehnt in Deutschlands Fußgängerzonen abgeknöpfte Kohle wurde in Elektronik investiert. Flöte an Verstärker geflanscht, Synthi, fertig ist New-Age-Schrott. Andreas Vollenweider hoch drei. Wenn die in Peru alle so'ne Musik spielen, ist es kein Wunder, dass die die ganze Zeit auf Koka-Blättern rumlutschen.
Gleich bin ich durch gelaufen. Rechts ist noch der afghanische Waffelstand, in dem Mutter und Tochter auf Kunden warten. Auf Kunden denen es ähnlich wie mir ergeht, denen es nicht gelingt, den Zauber der in deutschen Waffeleisen produzierten „afghanischen Waffeln“ zu erfassen. Irgendwas muss Hamid Karzai falsch gemacht haben, dass die „afghanische Waffel“ noch nicht zu Weltruhm gekommen ist. Millionen von deutschen Steuergeldern die zwischen Berlin und Kabul versickern und die nun den afghanischen Waffelexporten fehlen. Die beiden Waffelschieber im Büdchen machen jedenfalls einen eher frustrierten Eindruck. Da haben wir was gemeinsam.
[15h30] Medien -- Braucht nicht weiter kommentiert werden :-(
Nachtrag: Die SZ bringt Best of [1], [2], [3], u.a.
Deutschland hat 3:0 gegen die USA verloren. Gerhard-Mayer Vorfelder hat gesagt: Hätten wir 1918 die Kolonien nicht verloren, dann hätten wir auch Spieler aus Afrika in der Nationalelf. Ich gehe noch weiter: Ich sage sogar: Hätten wir 45 den Krieg nicht verloren, wäre das am Samstag ein normales DFB Pokalspiel gewesen.
[10h17] Apropos Winter (was anscheinend einen wunden Punkt in meiner zarten Seele berührt). Ligne Claire hat winterliches aus New York aufgetrieben. Schmacht. Rion.nu

Winter Wonderland New England Patriots - Miami Dolphins, Foxboro bei Boston
[09h09] Im Büro angekommen, packe ich die Sachen aus, schließe PowerBook an, starte Schreibtischrechner, packe Großtasse und Cappuccino und schlürfe zur Küchenecke eins. Wie ich drei Minuten später träge zurückschlürfe, fällt mir an der Art des Schlürfens auf: dies ist das typische träge Schlürfen von jemanden der noch gar nicht wach ist, Und ich frage mich, was ich die letzten anderthalb Stunden gemacht habe, in denen ich mich wach wähnte.
Nachklapp zu gestern abend. Insbesondere das zweite Football-Spiel war so wie ich es erwartet hatte: Schneesturm über Boston, das Spielfeld freigeräumt aber in den Rängen lag der Schnee minimum einen halben Meter hoch. Hinter den Endzonen türmten sich zehn Meter hohe Schneeberge. Ein Traum.
Das Spiel war, wie erwartet, spannend. Beide Erzfeinde kämpften um Playoff-Plätze. Als kurz vor Schluß der Heimmannschaft durch eine Aktion die Spielentscheidung gelang, gab es auf den Rängen kein Halten mehr. Überall schossen Schneefontainen hoch. Mehrere zehntausend Menschen im ganzen Stadion schmissen Schnee senkrecht hoch in die Lust. Ein unglaubliches Panorama. Es sah wie ein weißes Miniatur-Feuerwerk aus. Und es ging minutenlang so weiter. Ein Gejohle und Gekreische, mir jagte es einen kalten Schauer nach dem anderen runter. Ma', ich will auch endlich wieder ordentlich Schnee! Die MinusNullKommaZwo Grad sind nur ein kleiner Schritt dorthin.
Und für die Experten unter uns: wenn ich dann noch das Oakland-Spiel vor zwei Jahren einbeziehe, stelle ich fest: Foxboro rules. Was, bitte schön, ist „Frozen Tundra“ Lambeau-Field dagegen?